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Falter (Print)

Von der Ökonomie der Kunst

Diagonale: Richard Wilhelmer hat seinen Spielfilm “Adams Ende“ beinahe im Alleingang hergestellt.

Tausend Fotos hat Richard Wilhelmer in seinen ersten Kurzfilm gepackt. Als “The Golden Foretaste of Heaven“ 2009 auf der Diagonale Premiere hatte, war das Publikum teils höchst amüsiert und teils sehr verblüfft. In verführerischer Ästhetik mimten Mädchen Trümmerfrauen einer Zukunft, in einer Stadt nach der Apokalypse. Robert Stadlober rollte in einem Panzer durch ein menschenleeres Berlin, begleitet von der elektronischen Klangkulisse Alec Empires. So etwas hatte man lange nicht gesehen, da traute sich einer was.

Richard Wilhelmer liebt das Spiel mit Genres. Der 27-jährige gebürtige Judenburger ist so talentiert, dass man sich seiner Kunst nicht sicher ist. Diese Woche ist sein Spielfilmdebüt “Adams Ende“ auf der Diagonale erstmals in Österreich zu sehen, im Experimentalfilmprogramm läuft sein fünfminütiges Werk “Strange Love“.

Jede seiner bisherigen Arbeiten ist ein Wagnis, auch für das Publikum. “Mir war das gar nicht so bewusst“, kichert Wilhelmer am Ende eines langen Telefonats, angesprochen auf die irritierten Reaktionen zu “The Golden Foretaste of Heaven“. Die Geschichte sei freilich “Humbug“, doch in seiner Form will der Film ernst genommen werden. Es ist durchaus in Wilhelmers Sinne, dass sich Zuschauer unterhalten. “Auch bei ‚Adams Ende‘ übrigens“, sagt er. Die Geschichte einer Männerfreundschaft könnte man als großes Drama interpretieren. “Aber wenn am Ende der Walzer einsetzt, in einer Szene, die ich noch nicht verraten möchte, ist klar, dass es da auch einen kleinen ironischen Aspekt gibt.“ Wilhelmers Zurückhaltung ist angebracht, denn “Adams Ende“ bietet Erzählkino, das mit konditionierten Erwartungshaltungen zu spielen versucht. Die fiktiven Möglichkeiten des Kinos konnte der Realist Wilhelmer für seinen ersten langen Film nicht in all dem fantastischen Ausmaß ausschöpfen, wie er dies mit “Strange Love“ tut. Allein technisch wäre die Produktion zu aufwendig. Darum hat der Absolvent der Grazer Ortweinschule sein Hauptaugenmerk bei “Adams Ende“ auf die Dramaturgie gerichtet.

Drehbuch, Regie, Schnitt: Richard Wilhelmer. Aufnahmeleitung und Script: “Das habe ich selber nebenbei erledigt.“ Notgedrungen hat er den Film auch noch allein produziert. “Für das eigene Projekt entwickelt man Kräfte, die man theoretisch nicht hat.“ In seinem Studienzweig Experimentelle Medien an der Berliner Universität der Künste ist ein klassischer Spielfilm nicht unbedingt vorgesehen. Die 2000 Euro Kulturförderung des Landes Steiermark waren eine große Unterstützung, denn das Budget war verschwindend gering. Wilhelmer bediente sich der Möglichkeiten, die er sich in Berlin aufgetan hatte. In zweieinhalb Wochen war “Adams Ende“ abgedreht. Robert Stadlober, der die Hauptrolle übernahm, und Kollegen haben selbst für sich gekocht, die Kamera war geliehen. “Das ist aber nichts Besonderes, so entstehen Independent- und Erstlingsfilme.“ Neun Monate dauerte der Schnitt während Wilhelmers Stipendienjahr in Los Angeles. Lehrende wie der Drehbuchautor und Regisseur Thom Andersen nahmen sich während ihrer Weihnachtsferien Zeit für den Austauschstudenten.

Ursprünglich lockte ihn die Mundpropaganda, die Berlin nach wie vor mit Mythen umgarnt, unmittelbar nach dem Zivildienst nach Deutschland. “Ich finde die Möglichkeiten, die sich hier ergeben, sind auf einem gewissen Wohlstand begründet. Auf einem allgemeinen Wohlstand, der nicht unbedingt einer Schicht zuzuordnen ist. Dass es die Möglichkeit gibt, so zu leben – und zwar ziemlich breit angelegt -, ist großartig“, sagt Wilhelmer.

Doch Berlin kann man leicht erliegen, nicht wenige verlieren sich in der Vielzahl der Möglichkeiten, im Trubel des Geschehens und im Messen mit der Konkurrenz. Hier fand “Adams Ende“ seinen Anfang. Wilhelmer hat gedreht, was ihm nahe ist: einen Film in Berlin über junge Menschen in Berlin. Durchaus eine heikle Angelegenheit, das war dem Regisseur bewusst. Als Präventionsmaßnahme hat er typische Szenemerkmale aus dem Film verbannt. Die Form folgt der Funktion. Aber dem jungen Filmemacher sind Gestaltungsleitsätze wie dieser gar nicht recht, sie greifen ihm zu kurz. Seine Beschäftigung mit visuellen Experimenten ist fortgeschritten: “Ich finde, dass sich grundsätzlich jeder öfter nach einer gewissen Ökonomie seines Handelns fragen sollte, und zwar nicht nur in der Kunst, sondern im Leben. Das kann dann ziemlich weh tun im Alltag.“

Porträt: Maria Motter