Der Standard (Print)
Generation Sinnkrise
Risse im Alltag: Richard Wilhelmers fabelhaftes Regiedebüt “Adams Ende”
15. Oktober 2011
Wien – Debütfilmen sieht man in den meisten Fällen Vorbilder oder Einflüsse auf die eine oder andere Weise an. Das ist auch im Fall des 27-jährigen Newcomers Richard Wilhelmer ein wenig so, aber die Bahnen, die dessen noch schmales Werk nimmt, sind um vieles unberechenbarer, als man es in Österreich gewohnt ist. Strange Love, ein Kurzfilm, der während seiner Studienzeit am California Institute of Arts entstand, ist beispielsweise der bizarre Fiebertraum einer Apokalypse in Schwarzweiß, die aus dem Off von den Fragmenten einer Liebesgeschichte begleitet wird, die niemand Geringerer als Experimentalfilmemacher James Benning einspricht.
Mit Adams Ende legt Wilhelmer nun sein Spielfilmdebüt vor, das ohne Gelder der großen Förderinstitutionen des Landes finanziert wurde und in dem mit großer Leichtigkeit von der Lebenswirklichkeit von ein paar Twentysomethings in Berlin erzählt wird – einem Milieu, das im gegenwärtigen heimischen Kino gern vernachlässigt wird: urban, ein bisschen Bobo-haft und mit den Mitteln, einfach in den Tag hinein zu leben.
Zwei Paare stehen im Mittelpunkt, Conrad (David Winter) und Carmen (Paula Kalenberg), die sich gerade erst kennengelernt haben, sowie Adam (Robert Stadlober) und Anna (Eva-Maria May), die schon länger zusammen sind und deren Beziehung bereits unübersehbar eine Tendenz zu Unaufmerksamkeiten und Gereiztheiten aufweist. Gemeinsam fährt man auf Urlaub an einen See. Der impressionistische Realismus, mit dem Wilhelmer diese Beziehungskonstellationen einfängt, weist in der Erholung erstmals Risse auf. Ein subkutanes Begehren tritt auf, vieldeutige Blicke wechseln sich ab, und manch eine Reaktion darauf wirkt überspannt.
Unter Verdacht
Adams Ende ist ein Film, der sich für keine feststehende Perspektive auf seine Protagonisten entscheidet, sondern beständig nach anderen Ausdrucksformen sucht, um den Gefühlsverwirrungen beizukommen. Motivationen und Leidenschaften der Figuren stehen somit unter Verdacht – hinter der Normalität einer aufgeräumten Lebensweise lauert ein Abgrund, der nicht einfach nur angedeutet wird, sondern gleichsam nach außen tritt, expressiv in die Form verlagert.
Zurück in Berlin wird das Unbehagen vor allem bei Adam immer größer, dass Conrad unter einer ausgewachsenen Lebenskrise laboriert. In Manier eines Psychodramas schürt Wilhelmer den Suspense, lässt reale und eingebildete Szenen voneinander ununterscheidbar werden, behält aber auch einen Rest an Alltäglichkeit, was die Geschichte bei aller Drastik weiterhin erdet (viel davon trägt der exzellente Cast).
Wie nebenbei überwindet Adams Ende dabei auch die Dichotomie zwischen Autorenfilm und Genrekino, in dem er sich Stilistiken beider Felder bedient und sie zu etwas eigenem macht. Milieurealismus mit scharfer Gartenschere sozusagen.
(Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.10.2011)